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Veröffentlicht: 2019 Aktualisiert: 01.09.2024

Deaktivierung der Schockfunktionen eines ICDs nicht vergessen

In einer Situation, in der für einen lebensgefährlich erkrankten Patienten keine kurative Hilfe mehr angeboten werden kann (z. B. terminale Tumorerkrankung, terminale Herzerkrankung nach Ausschöpfen aller Therapieoptionen), in der keine Lebensqualität mehr besteht (z. B. terminale Herz- oder Lungenerkrankung mit Luftnot in Ruhe trotz Ausschöpfung aller Therapiemöglichkeiten, Bettlägerigkeit und kardiale Kachexie, Formen der schweren Demenz),  oder in der unmittelbaren Sterbephase selbst entfällt meist die Indikation für die Aufrechterhaltung einer ICD-Behandlung: Das ursprüngliche Therapieziel, einen plötzlichen Herztod durch Kammertachykardie/-flimmern zu verhindern, macht im nicht-arrhythmischen Sterbeprozess keinen Sinn und kann diesen sogar noch verschlimmern, wenn beim Sterbenden Schockabgaben auftreten. 

Damit es gar nicht erst zu belastenden oder den Sterbeprozess unnötig verlängernden Schockabgaben kommt, sollte diese Funktion beim ICD in der Sterbephase deaktiviert werden, unabhängig davon, ob der Patient dies explizit eingefordert hat, beziehungsweise auch dann, wenn sich keine klaren Hinweise auf den aktuellen oder mutmaßlichen Willen des Patienten eruieren lassen 1. Dies wird in der Praxis leider meist vergessen (oder niemand fühlt sich zuständig), sodass es erst nach Schockabgabe zu einer Schock-Deaktivierung kommt.   

Analoge Therapiebegrenzungssituationen ergeben sich im Palliativkontext zum Beispiel, wenn eine Intensivtherapie, Dialysebehandlung, Chemotherapie, medikamentöse Dauertherapie oder eine künstliche Ernährung/Flüssigkeitssubstitution am Lebensende beendet wird 2 - 78.  

Für den Sterbeprozess ist es wichtig zu wissen, dass eine Magnetauflage die Schockabgaben verhindert, denn sterbende Patienten können und sollen nicht unnötig zu Praxen oder Krankenhäusern transportiert werden und unser Gesundheitssystem erlaubt es nur in Ausnahmefällen, dass ein Arzt und ICD-Experte mit Programmiergerät einen Hausbesuch macht. 

Es erscheint sinnvoll, nur die schmerzhafte Schocktherapie zu deaktivieren. Aufrechterhalten oder Deaktivierung der antitachykarden Stimulation, die schmerzfrei ist und vom Patienten nicht bemerkt wird, sollte im Einzelfall abgewogen werden. Nicht deaktiviert werden sollten antibradykarde Stimulation und kardiale Resynchronisation, da sie das Leiden im Sterbeprozess in der Regel nicht verkürzen, sondern verschlimmern (Verschlechterung der Dyspnoe und Schwäche).  

Ein einwilligungsfähiger Patient hat nach informierter Aufklärung das Recht, eine Deaktivierung der Schockfunktionen seines ICDs zu verlangen, unabhängig davon, in welcher Lebensphase er sie einfordert und ob die ICD-Behandlung weiterhin medizinisch indiziert ist. Hintergrund ist, dass aktuell juristisch dem freien Willen des Patienten eine höhere Priorität als dem Leben des Patienten eingeräumt wird. Dies gilt sogar für den Fall, dass zu erwarten ist, dass der Patient unmittelbar nach Deaktivierung des Gerätes verstirbt (z. B. ein Schrittmacher-abhängiger Patient, dessen Schrittmacher deaktiviert wird). Ärztlicherseits kann das aus medizinischen Gründen nicht verweigert werden, selbst wenn eine solche Deaktivierung dem hypokratischen Eid zuwiderläuft. Ein Arzt hat jedoch das Recht, aus ethischen Gründen diese Deaktivierung nicht selbst durchzuführen, muss dann aber einen Kollegen nennen, der die Deaktivierung durchführt, in Analogie zum Schwangerschafts-abbruch, zu dem kein Arzt gezwungen werden kann.  


Waltenberger J, Schöne-Seifert B, Friedrich DR, et al.: Verantwortlicher Umgang mit ICDs: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und ihrer Schwester-Gesellschaften. Kardiologe 2017; 11: 383–97.Bundesärztekammer: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Dtsch Arztebl 2011; 108 (7): A346–8. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen SterbebegleitungBundesgerichtshof: BGH AZ XII ZB 2/03. N Jurist Wochenschr 2003: 56: 1588–94.Raspe H: Ethische Aspekte der Indikation. In: Toellner R, Wiesing U (Hrsg.): Wissen – Handeln – Ethik. Strukturen ärztlichen Handelns und ihre ethische Relevanz. Stuttgart, Jena, New York: G. Fischer 1995; 21–36.Lipp V: Patientenautonomie und Lebensschutz. Zur Diskussion um eine gesetzliche Regelung der „Sterbehilfe“. Göttingen: Universitätsverlag 2005.Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF (Leitlinienprogramm Onkologie): S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. Langversion 1.0 – Mai 2015, AWMF-Reg.Nr: 128/001OL. AWMF Leitlinienregister (last accessed on 10 April 2019).American Academy of Hospice and Palliative Medicine, Choosing Wisely: Five Things Physicians and Patients Should Question 2013. Choosing Wisely: An Initiative of the ABIM Foundation (last accessed on 10 April 2019).Bundesärztekammer: Stellungnahme der Bundesärztekammer „Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung“ 2015. Stellungnahme der Bundesärztekammer „Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung“

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