Bestimmung eines natriuretischen Peptids bei unklarer Dyspnoe
Bei unklarer Dyspnoe soll in der Notaufnahme ein natriuretisches Peptid bestimmt werden.
Unspezifische Dyspnoebeschwerden sind sehr häufig und waren das Hauptsymptom bei 2,7 % der Vorstellungen in einer Notaufnahme in den USA im Jahr 2011 1. Eine zugrundeliegende Herzinsuffizienz zu diagnostizieren oder auszuschließen, ist für die weitere Diagnostik und Therapie essenziell; jedoch sind Symptome und klinische Zeichen weder sensitiv noch spezifisch und daher häufig nicht geeignet, um die Diagnose einer Herzinsuffizienz mit ausreichender Sicherheit zu stellen 2 - 3. Die Bestimmung natriuretischer Peptide, von „braintype natriuretic peptide“ (BNP) oder vom N-terminalen Ende des proBNP (NT-proBNP) oder vom mid-regionalen atrialen natriuretischen Peptid (MR-pro ANP) kann nachweislich die Diagnose einer Herzinsuffizienz verbessern.
Die Konzentrationen der natriuretischen Peptide steigen bei Druck oder Volumenbelastungen des Herzens – unabhängig von der zugrunde liegenden kardiovaskulären Ursache – an. Daher machen normale Blutkonzentrationen die Diagnose einer akuten Herzinsuffizienz sehr unwahrscheinlich (negativ prädiktiver Wert > 90 %). Aus diesem Grund empfehlen die neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) 4die Bestimmung von natriuretischen Peptiden bei allen Patienten mit V. a. eine Herzinsuffizienz bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme.
Die altersunabhängigen „cutoffs“ zum Ausschluss einer akuten Herzinsuffizienz liegen höher (BNP < 100 pg/ml, NT-proBNP < 300 pg/ ml oder MR-proANP < 120 pg/mL) als die „cut-offs“ zum Ausschluss einer chronischen Herzinsuffizienz. Nur selten werden normale Konzentrationen der natriuretischen Peptide trotz akuter kardialer Dekompensation beobachtet, zum Beispiel beim hypertensiven Lungenödem. Die möglichen Ursachen falsch niedriger oder falsch positiver Konzentrationen (Gewicht, Schilddrüsenfunktion, Niereninsuffizienz) müssen im Einzelfall berücksichtigt werden.
Der positiv prädiktive Wert der natriuretischen Peptide ist niedriger als der negativ prädiktive Wert. Daher erfordert die Interpretation stark erhöhter Werte für die Diagnose der akuten Herzinsuffizienz („rule-in“) – zumindest für NT-pro BNP – auch die Berücksichtigung des Alters (4), der Nierenfunktion oder des Vorliegens eines Vorhofflimmerns 5. Störungen der Schilddrüsenfunktion und hoher Body-Mass-Index (>30 kg/m2 ) können ebenfalls zur Unterschätzung der tatsächlichen Werte führen. Erhöhte Werte, in der Regel oberhalb des geschlechterunabhängigen „rule-out“ cutoffs für akute Dyspnoe (z.B. NT-pro BNP > 300 ng/L) lassen nicht automatisch weder eine Differenzierung der Ursache der zugrundeliegenden Herzinsuffizienz noch des Herzinsuffizienztyps (Rechts- oder Linksherzinsuffizienz, Herzinsuffizienz mit erhaltener (HFpEF), mild reduzierter (HFmrEF) oder reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) zu 6, sodass eine weiterführende Diagnostik und Differenzierung mittels Echokardiographie und ggf. anderer Methoden unentbehrlich ist (HFrEF = heart failure with reduced ejection fraction, HFpEF = heart failure with preserved ejection fraction, valvuläre Ursache, pulmonal-arterielle Genese, Cor pulmonale etc.). Im Falle, dass das Ausmaß der gemessenen Konzentration überproprotional erhöht oder klinisch nicht plausibel ist, sollte an wichtige Differentialdiagnosen (z.B. kardiale Amyloidose, paroysmales Vorhofflimmern) gedacht werden 6. Für das Monitoring des Herzinsuffizienzverlaufs ist BNP im Gegensatz zu NT-pro BNP in der Frühphase nach Therapieeeinleitung mit Saccubitril-Valsartan nicht ideal geeignet 7. Während eine deutliche Erhöhung der Konzentrationen von natriuretischen Peptiden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine kardiale Dekompensation korrelieren, liegt der größte Auswand für die Identifizierung der zugrundeliegenden Ursache, wenn weder eine Herzinsuffizienz ausgesclossen noch diagnostiziert werden kann. Das Spektrum möglicher Differentialdiagnosen in der sog. „Observationszone“ ist sehr weit und beinhaltet interessanterweise auch das Vorliegen von Bronchialkarzinomen 8.